Ein Recht auf Unordnung
Zur Kunst von Cäcilia Brown

 

In der Messfeier nach dem römisch-katholischen Ritus spricht der Priester als Abschluss der Wandlungsworte: Tut dies zu meinem Gedächtnis. Er vergegenwärtigt Jesus Christus und hält zugleich die Erinnerung an ihn wach. Das lässt sich durchaus mit dem Tun einer Künstlerin vergleichen. Sie vergegenwärtigt durch ihr Tun etwas und hält eine Erinnerung wach. Wenn ich im Folgenden versuche, einige Zugänge zur Kunst von Cäcilia Brown anzudeuten, dann gehe ich von diesen beiden Begriffen, Vergegenwärtigung und Erinnerung, aus.

Die Bildhauerkunst von Cäcilia Brown kommt von der Photographie her. Sie ist eine Erweiterung des ihr in der Photographie Möglichen, des Umgangs mit Vorgefundenem. Wenn im Foto das Vorgefundene gewissermaßen dokumentiert wird, so wird in der Bildhauerei eine Erweiterung im Sinn eines Gestaltens und Verarbeitens möglich. Die Skulpturen von Cäcilia Brown nehmen ihren Ausgang von dem, was ihr auf Wegen durch den Raum der Stadt begegnet. Das gilt für das Material genauso wie für die Form. Verarbeitet wird Lehm, der beim U-Bahnbau am Matzleinsdorfer Platz zutage gefördert wurde. Verarbeitet werden gefundene Metallteile, Balken aus abgebrochenen Häusern, Betonreste. Nachgeformt werden Hinweistafeln, technische Einrichtungen, Gitterwerke, alles verformt, fragmentarisch. Aus Lehm werden Tafeln geformt und gebrannt, die in ein gebogenes Gitterwerk eingefügt an die Tunnelröhre der U-Bahn erinnern. Wachsteile sind so an einem Stahlseil aufgefädelt, dass sie an die Spanneinrichtung von Oberleitungen erinnern. Schienen sind in Beton nachgegossen und rufen ihrerseits Erinnerungen wach. In dieser Kunst wird also ständig an etwas erinnert. Woran? An vieles, das auf einem Streifzug durch den Raum der Stadt begegnen kann, an vieles, das den Lebensraum einer Stadt prägt. Die Skulpturen von Cäcilia Brown nähren sich gewissermaßen aus dem Material der Stadt und wirken ihrerseits wieder in den Raum der Stadt zurück. Sie stellen all jene, die sie wahrnehmen, in weitreichende Bezüge. Sie eröffnen einen Erinnerungsraum. Sie werben um die Phantasie, um den Erfindungsreichtum all derer, die ihnen begegnen. Sie fordern zur Erinnerung auf.

Die Kunst von Cäcilia Brown hat ihren Ursprung in einer erstaunlichen Fähigkeit zum Spiel. Allein schon die Art, wie Dinge behandelt, verformt, umgeformt, in neue Zusammenhänge gestellt werden und die Fähigkeit, aus Misslungenem etwas Neues entstehen zu lassen, sind ein Hinweis auf den spielerischen Umgang mit dem Material. Das erinnert an eine Haltung, die für die Entstehung von Kultur entscheidend ist. Im Buch der Sprichwörter sagt die Weisheit von sich selber: „Als er (Gott) die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund, und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.“ (Spr 8,30–31) Die Bedeutung des Spiels für die Kultur beschreibt Johan Huizinga in „Homo Ludens“. Auch der Jesuit Hugo Rahner hat zu diesem Thema geschrieben: „Der spielende Mensch“. Cäcilia Brown ist in ihrer Kunst äußerst experimentierfreudig. Manches geht schief, aber auch das Gescheiterte und Zerbrochene wird spielerisch weiter verwandelt. Im Umgang mir Ton tastet sich Cäcilia Brown in eine neue Welt hinein, mit allem Mut, Überraschungen und Fehlschläge zu erfahren. Was entsteht, entspricht nicht unbedingt den Maßstäben professioneller Keramikkunst, aber es besitzt einen eigenartigen Zauber. Da Cäcilia Brown in ihrer Kunst nicht den Charakter des Vollendeten anstrebt, eröffnen ihre Skulpturen ein Reich jenseits des Perfekten, jenseits des unberührbar Makellosen. Sie erinnern damit an ein Reich, das allen bekannt ist und von vielen vergessen wurde, ein Reich, in dem nicht die Ausweglosigkeit des Fertigen gilt, sondern die Fülle an Möglichkeiten, die das Fragmentarische, Verwitterte bietet. Die Kunst von Cäcilia Brown erinnert an das Reich der Kindheit. Sie wirbt um die Bereitschaft zum Spiel.

Kunstgeschichtlich betrachtet erinnert die Kunst von Cäcilia Brown an die große Tradition von DADA und MERZ. Es gibt da eine gewisse Lust am Zerstören und neu Zusammensetzen der Fragmente. Kurt Schwitters hat etwa 1920 damit begonnen, Fundstücke, Makulatur und Weggeworfenes in seine Kunst einzubauen. Er schuf aus diesem Material Bilder und Skulpturen. Nie zuvor in der europäischen Kunst hatten die verworfenen Dinge eine solche Bedeutung bekommen. Schwitters hatte damit etwas völlig Neues geschaffen und den Anfang einer bedeutenden Strömung der Kunst des 20. Jahrhunderts gebildet. Das Kunstwerk und das alltägliche Leben sind auf eine neue Art miteinander in Beziehung gesetzt worden. In einem Jahrhundert der Zusammenbrüche und ungeheurer Zerstörungen hat diese Kunst gezeigt, dass aus Trümmern Neues entstehen kann. In einem Jahrhundert zunehmenden Weltverbrauchs und eines zügellosen Verschwendens von natürlichen Ressourcen hat diese Kunst gezeigt, welch Zauber und welche Schönheit dort zu entdecken ist, wo eine am Konsum orientierte Lebenshaltung nur Abfall sieht. Cäcilia Brown feiert in ihrer Kunst eine Welt abseits verlockender Konsumartikel. Sie feiert eine Welt, wo all das, was schon am Ende schien, neu ersteht zu einem Leben voller Kraft und Frische. Denn das sollte angesichts dieser Kunst nicht übersehen werden: Hier ist eine große Kraft am Werk, nicht nur physisch, sondern auch geistig. Hier wird eine Welt neu erfunden. Denn so sehr die Skulpturen auf die Lebenszusammenhänge innerhalb einer Stadt verweisen, sie erschöpfen sich nicht in der Erinnerung an Gegebenheiten von Stadt, sondern vergegenwärtigen ungeahnte Möglichkeiten des Gestaltens dieser Gegebenheit. Sie erinnern an Vorgefundenes, an Altes, und sie vergegenwärtigen Neues. Unverkennbar tragen sie die Züge des Lächelns von Cäcilia Brown.

Gustav Schörghofer SJ