Zu den Zeichnungen von Emanuela Domenego

Außerhalb der Grenzen dessen, was nach herkömmlichem Verständnis als Kunstwerk gilt, sind im vergangenen Jahrhundert ursprüngliche menschliche Schöpfungen entdeckt worden. Kunst wurde dort wahrgenommen, wo sie früher nie gesucht worden ist. Nach und nach erwachte der Sinn für Schätze, die in den Randbereichen des Lebens, in den vernachlässigten Außenbezirken der kultivierten Gesellschaft zu finden sind.

Emanuela Domenego musste bereits sehr früh ihre Arbeit als Sekretärin aufgeben. Zwei lebensbedrohende Krankheiten hatten dauernde Schäden hinterlassen. „Elli“, wie sie in ihrer Familie genannt wurde, war etwas über dreißig Jahre alt, als sie diese einschneidende Änderung ihres Lebens erfuhr. Sie lebte mir ihrer Schwester in einer gemeinsamen Wohnung. Ein nahes Kamillianerkloster bot ihr weiteren Lebensraum. Einer der Priester lehrte sie das Orgelspiel. Es dauerte nicht lange, und Elli begleitete den Gemeindegesang. Sie legte für sich handgeschriebene Liederbücher an. Zu Hause spielte sie auf einer kleinen elektronischen Orgel. Dieses Spiel war ihre Freude.

Nach dem Tod der Schwester blieb Elli allein in der Wohnung. Sie konnte sich weitgehend selbst versorgen. Ein kleiner Kreis von Menschen achtete auf sie. Schließlich wurde eine Übersiedlung in ein Altenheim aber doch notwendig. Was bisher ihre Freude gewesen war, das Spiel mit der Orgel zu Hause, war in dem großen Raum mit acht Betten, der von nun an ihr Lebensraum sein sollte, nicht mehr möglich.

Als Emanuela Domenego damals zu zeichnen begann, war sie bereits über neunzig Jahre alt. Freunde und Bekannte versorgten sie mit Farbstiften und Papier. Besuche empfing sie meist auf ihrem Bett sitzend. Eine tiefe Fröhlichkeit ging von ihr aus.

Die Bilder kamen Emanuela Domenego wie im Traum. Mit Kugelschreiber und Farbstiften zeichnete sie männliche und weibliche Figuren, manchmal fröhliche, manchmal bedrückte. Es gibt viele Vögel. Bäume und Pflanzen aller Art spielen eine wichtige Rolle. Die Situation hat mitunter etwas bedrohlich Beengtes. In allen Arbeiten wird durch die Gestaltung eine Bedrohung gebannt, die Freude gerettet.

Emanuela Domenego ist 1997 im Alter von 98 Jahren gestorben.

Gustav Schörghofer SJ