Das Strahlen der Materie
Zur Malerei von Heinrich Menches
Seit der ersten Ausstellung von Heinrich Menches im JesuitenFoyer sind schon zwölf Jahre vergangen. 2011 waren von ihm Werke aus den Jahren nach 1985 zu sehen. In der jetzigen Ausstellung werden Werke aus den Jahren davor gezeigt. Hier ist nun der Anfang des Schaffens zu erkennen. Zu erkennen ist auch ein Weg, der damals begonnen hat.
In der Malerei von Heinrich Menches geht es um Farbe und Form. Farbe wird nicht als Attribut eines Gegenstandes verstanden, sondern als von allem Gegenstandsbezug befreite elementare Erscheinung. Die frühen Bilder ab Mitte der 60er Jahre sind schwer von Ölfarbe. Sie wird mit dem Pinsel pastos aufgetragen. Form schenkt diesem Farbgebrodel der Rhythmus der kurzen Pinselstriche. Sie modellieren die Farbe regelrecht. Diese kleinen Bilder haben eine Nähe zu Reliefs, so plastisch ist die Farbe auf die Fläche gesetzt. Sie sind eher dunkel gehalten. Eine stille Glut durchleuchtet diese knappen Flächen.
In den späten 60er Jahren setzt offenbar eine Periode verstärkter Suche nach der Form ein. Menches baut nun die Fläche aus hintereinander gestaffelten Farbflächen auf. Die Bilder habe eine klar überblickbare Tiefe, der Pinselstrich verliert seine Eigenmächtigkeit. Ein Element des Grotesken ist diesen Bildern auch zu eigen. Es gibt Bezüge zu bekannten Werken alter Kunst. Die Farbflächen sind meist homogen, die Farbe nur wenig changiert. Ein bisschen erinnern diese Arbeiten an Pop-Art. Die Verwendung von viel Rosa ist auffallend. Hier findet offenbar eine Klärung des Bildaufbaus statt, eine Wendung zur strengen Form.
Heinrich Menches besitzt eine Liebe zu unscheinbaren Dingen. Schon die frühen Arbeiten zeigen das in ihrer Art, die Farbe als stilles Ding einzusetzen. In den 70er Jahren entdeckt Menches die Welt der Dinge für seine Malerei immer mehr. Wenn sie zuerst noch in der Art der streng konstruierten Bilder der späten 60er Jahre erscheinen, präzise gemalt und verhältnismäßig flach im Farbauftrag, so werden sie in den 80er Jahren zunehmend aus der pastos aufgetragenen Farbe erschaffen. Die Dinge werden nicht abgemalt, sondern aus der Eigenmächtigkeit der Farbe entsteht auf der Leinwand etwas, das an die Dinge erinnert. Die Farben werden leuchtender, bunter, heller. Sie besitzen etwas Strahlendes, eine strahlende Materie, die in dem Bild „Tschernobyl“ eine Doppelbedeutung annehmen kann.
Heinrich Menches ist ein Bildermaler. Er erschafft im kleinen Format seiner Malereien konzentrierte Welten, sei es im Farbgewühl der frühen Bilder, sei es in den flächig gehaltenen folgenden Arbeiten oder in den Stillleben der späteren Jahre. Das von ihm gestaltete Bild zeigt eine Verdichtung von Welt, keine gleichmäßig ausgebreitete Fläche. Diese Verdichtung verleiht den einfachen Dingen eine besondere Präsenz.
Auf den ersten Blick mag es scheinen, als hätten die Bilder von Heinrich Menches keinen Bezug zur Zeit ihres Entstehens. Einzig das „Tschernobyl“ betitelte Bild ist eine Ausnahme. Direkte Zeitbezüge sind Heinrich Menches tatsächlich fremd. Sein Werk bietet aber, in der Zeit des Wirtschaftsaufschwungs und zunehmenden Weltverbrauchs entstanden, eine Möglichkeit, die Welt der Dinge anders zu betrachten. In ihr nicht nur den Rohstoff für menschlichen Konsum zu sehen, sondern sie in ihrer Eigenheit zu entdecken. Dem Verbrauch und dem Verwandeln von Welt in Müll setzt das Werk von Heinrich Menches eine Wertschätzung der verworfenen oder vernachlässigten Dinge entgegen. Hier wird nicht mit erhobenem Zeigefinger zur „Bewahrung der Umwelt“ aufgerufen, sondern das Wunder des Einfachen und des still Vorhandenen gefeiert. Parallel zur Misere der Gegenwart hat Menches eine Welt geschaffen, deren Zauber den Sehenden immer neu Grund zu tiefer Freude schenkt.
Gustav Schörghofer SJ
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“¹
Die Ausstellung von Heinrich Menches im Jesuitenfoyer in Wien umfasst 22 Bilder aus der Zeit von 1965 bis 1986, abstrakte Bilder, Landschaften, Stillleben und Porträts.
Ein Besuch in Heinrich Menches’ Atelier – bei dem ich Ende Dezember 2022 nicht nur Heinrich Menches kennen lernen durfte, sondern auch fast alle Bilder der Ausstellung im Original sah – ist wie ein Eintritt in eine Zeitkapsel, in der die Jahre seit 1967 komprimiert in Bildern und in Gegenständen, die das Atelier bevölkern, eingeschlossen sind. Hat man die sechs Stockwerke ohne Lift erklommen, kommt man in eine Zweizimmerwohnung, die Heinrich Menches seit 1968 als Atelier dient. Es ist sein Refugium, in dem er sich ganz der Malerei widmet, mit der Außenwelt durch Bücher, Zeitungen und Telefon verbunden. Ein Raum ist der Recherche in Büchern, dem Nachdenken, dem Konzipieren von Gemälden, auch den Gesprächen mit Gästen, der zweite ausschließlich dem Malen gewidmet. Hier ist das Fenster verklebt, natürliches Licht und seine Veränderungen sind nicht erwünscht. Gemalt wird auf einer Staffelei, auf der die Besucher:innen später die Bilder betrachten können. Unzählige von diesen stehen in beiden Räumen mit dem Rücken zum Raum an den Wänden, dichtgedrängt neben- und übereinander. Hier finden sich auch Requisiten, die in den Bildern erscheinen, eine sehr alte Bierflasche steht auf dem Fensterbrett, eine Hasenmaske liegt am Boden (beide finden sich im Stillleben von 1985), auf einer Art Grafikschrank stehen Zinnsoldaten und natürlich Malutensilien. Ölfarben, riesige Farbhaufen mit den Resten der Ölfarben erzählen von jahrzehntelanger Arbeit und Akkumulation.
Heinrich Menches wurde 1941 in Wien geboren, wuchs im 2. Bezirk nahe der Reichsbrücke auf und machte mit 14 Jahren eine Lehre zum Steindrucker. Von 1962 bis 1966 studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in Wien in der Klasse Sergius Pauser und besuchte dort bei Herbert Boeckl den für viele prägenden Abendakt. Bereits sein Vater und sein älterer Bruder hatten gemalt, allerdings nicht als Brotberuf.
Titel der Bilder aus der informellen Zeit von 1965 bis 1967 sind Komposition, Farbempfindung, Grüner Rhythmus, Struktur, Kosmos, Farbgebilde: Titel, die eher die Herangehensweise an die Malerei als Themen benennen und deren Methodik hervorragend zum Ausdruck bringen. Die sehr pastos bemalten Leinwände von eindringlicher Atmosphäre zeigen eine reliefartige Struktur, sodass sich das Licht, das auf die Farbe fällt, vielfältig bricht und dadurch helle und dunkle Partien erzeugt. Mich haben diese Bilder in ihrer Tiefe und Farbgebung, die auf Braun- und Grüntöne fokussiert, etwa an Eugène Leroy erinnert, der aber häufig ins Figurative gleitet, was den Bildern dieser Werkperiode von Menches fremd ist. Anders als bei den Amerikaner:innen des abstrakten Expressionismus der 1950er und 60er Jahre, die sich mit der reinen Oberfläche, der „Flatness“ der Bilder befassten oder wie Helen Frankenthaler mit der von ihr erfundenen Methode der „Soak Stain Technik“, dem Verschmelzen der Farbe mit der Leinwand, finden wir bei Menches dick aufgetragene Farbe, die mit dem Spachtelmesser und dem Pinsel auf die Leinwand appliziert wurde. Rhythmus, Komposition und Farbe bestimmen diese kleinen Bilder von ungeheurer Intensität und einprägender Schönheit.
1967 geht Menches langsam zum Figurativen über. In der Ausstellung ist diese Phase mit einer Landschaft und zwei Stillleben vertreten. Die Landschaft von 1967, ein auf den ersten Blick abstraktes Bild, das allein durch den Titel den Bezug zur Landschaft herstellt, setzt anstelle der älteren feinziselierten Strukturen grobe Farbblöcke nebeneinander. Pastellfarben, die in der Folge für eine längere Zeit eine dominante Rolle spielen, beginnen hier. Der Himmel erscheint hellblau mit rosa Wolken, fast brutal und pastos gemalt. Die Landschaft darunter besteht aus einem weißen Gebilde, in dem sich eine grellgelbe Formation ähnlich einer Höhle befindet, daran angeschmiegt eine grünbeige Form. Diese „Steine“ stehen auf einer grünen Fläche, die sich im Vordergrund mit blauen und roten Flächen und einem kleinen lila Streifen fortsetzt.
Die Arbeiten der späten 1960er Jahre hingegen widmen sich häufig der menschlichen, weiblichen Figur, seien es Sphingen, Badende oder Porträts, die zu Grotesken mutieren. Kunsthistorische Vorbilder, so zum Beispiel die Infantinnen von Diego Velázquez oder Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ werden als Groteske verzerrt und als Sphingen gefährlich, Rätsel aufgebend und kaum zu bezwingend dargestellt. Menches‘ Weg zur figurativen Malerei wird also von der überlieferten Kunst begleitet. Formal gesehen wird der Malstil flacher, die Farben vorübergehend nur mit dem Pinsel aufgetragen. Pastelltöne – rosa, hellblau, grün – werden vorherrschend. Entrückte Figurinen, die die Gleichzeitigkeit mit der Popart nicht verleugnen können, nicht aber an der schreienden Warenwelt des Konsums interessiert sind, sondern von intimer Beschäftigung mit dem Porträt und der Geschichte der Malerei schlechthin zeugen. Hier beginnt auch der Realismus in Menches Bilderwelt einzudringen.
Mit dem Beginn der 1970er Jahre finden sich dann in einzelnen Stillleben in der Ausstellung weitere Entwicklungsschritte. Das Stillleben von 1971/72 zeigt ein aufgestelltes Buch mit zwei Picasso-Porträts, davorstehend einen Aschenbecher mit brennender Zigarette, eine leere Bierflasche, ein schräg ins Bild gesetztes Messer und eine halbe Zitrone. Hier kommt es zu einer Konfrontation von medial kopierten Kunstwerken mit der „Wirklichkeit“, also im Atelier befindlichen dreidimensionalen Gegenständen, die im Bild dargestellt sind. So werden zweierlei Wirklichkeiten in einem Bild gegeneinandergesetzt, jene der Kunstgeschichte und jene der unmittelbaren Umgebung.
Ein weiteres Stillleben von 1980 zeigt zwei Paar Schuhe, eines vom Maler selbst, das zweite von seinem Bruder auf einem Terrakotta-Boden nebeneinander. Schuhe, die pars pro toto die Besitzer porträtieren, ähnlich wie das Bild „Ein Paar Schuhe“, 1886 von Vincent van Gogh, das als Selbstporträt gedeutet wird.² In der Zeit, als die „Neuen Wilden“ im Kommen waren, wandte sich Menches also einem sehr kühlen, detailgetreuen und trockenen Realismus zu, der wenig mit der starken Expressivität der jüngeren Künstler wie beispielsweise Siegfried Anzinger oder Hubert Schmalix zu tun hat. In diese Phase fällt auch eines der komplexesten Bilder der Ausstellung, ein Stillleben von 1985. Gelbe Früchte liegen auf einem Holzsessel, daneben finden sich eine offene Sardinendose, Servietten und Papier, am Boden ein Aschenbecher und ein Teller, eine Bierflasche, und eine Hasenmaske. Zentral für die Bildkomposition und die Aussage des Bildes ist wohl die angeschnittene Staffelei mit einem Gemälde am rechten Bildrand. Dominant ist die Schräge des Raumes mit dem dazu parallelen Stuhl und der Staffelei en Face zu den Betrachter:innen auf der vordersten Bildebene. In groben Pinselstrichen mit weißen Schlaglichtern gemalt, erinnert es an das Chiaroscuro der Spätrenaissance, obwohl Motivik und Malstil auch an Van Gogh denken lassen. Es ist ein Bild, das man als Selbstporträt deuten und den Titel „der Künstler im Atelier“ tragen könnte. Der Künstler selbst scheint im Bild abwesend oder wird er durch die Hasenmaske repräsentiert? Es geht auch hier wiederum um das Verhältnis von Malerei und Wirklichkeit und um deren Ineinandergreifen im Atelier und im Bild.
Heinrich Menches war – vielleicht mit einer einzigen Ausnahme, dem Ende der 1960er und Beginn der 1970er Jahre, in der Zeit des Übergangs zur Figuration – nie Teil des Mainstreams. Als Otto Breicha mit der Gruppe „Wirklichkeiten“ erfolgreich die gleichnamige Ausstellung kuratierte und an die Öffentlichkeit trat, hatte Menches ebenso den Weg in die Figuration angetreten. Die Nähe betraf nicht nur die persönliche Bekanntschaft³, sondern ist auch an den Bildern abzulesen. Die Mitglieder waren alle in seinem Alter, Wolfgang Herzig und Kurt Kocherscheidt seine Studienkollegen in der Klasse Pauser. Er blieb eine singuläre Figur, die sich ganz auf das Malen konzentriert, ein Bild aus dem vorhergehenden ableitet und zugleich ein feines Sensorium für die Entwicklungen der Kunstwelt behält.
Als ich im Zuge der Anfrage für diesen Text erstmals mit seinem Werk in Verbindung kam, war ich sehr erstaunt, von ihm noch nie bewusst gehört zu haben und war zugleich von der hohen Qualität der Arbeiten angezogen. Als ich Menches die Frage stellte, warum er nicht wirklich bekannt geworden war, ob das an seiner Arbeit oder eher an seiner Persönlichkeit lag, meinte er, es sei wohl eine Kombination von beidem gewesen.⁴
Gerade an der Arbeit von Jean-Frederic Schnyder in der Secession geschult, der alle möglichen Malstile spielerisch verwendet und wie Heinrich Menches dem Kleinformat verpflichtet ist, dachte ich zunächst an eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Künstlern. Die Vielfalt der Stile, von informell abstrakt bis zu verschiedenen Formen des Realismus, verbindet die beiden. Doch was bei Schnyder spielerisch in Spiralbewegungen immer wieder kommt und eine Gleichzeitigkeit und ein Nebeneinander aller Stile und Methoden bedeutet, ist bei Menches eine lineare historische Entwicklung, die, von der Abstraktion kommend, immer dem realen Gegenstand verpflichtet ist. Überscheidungen mit Schnyder gibt es zum Beispiel dann, wenn beide nach konkreten Vorbildern malen, wofür Schnyders „Wartesäle“ der Schweizer Bahnhöfe, 1988 vor Ort gemalt, ein Beispiel sind. Menches bleibt zwar im Atelier, hat aber seinen Bildgegenstand, wie im Falle des Stilllebens von 1985, ebenso vor Augen.
„Auf der einen Seite ist die Welt das, was wir sehen, und auf der anderen Seite müssen wir dennoch lernen, sie zu sehen. In diesem Sinne müssen wir das Sehen zunächst in Wissen überführen, wir müssen es in Beschlag nehmen und sagen, was dieses Wir, was dieses Sehen heißt, und wir müssen so tun, als wüssten wir von allem nichts, als müßten wir in dieser Hinsicht alles erst noch entdecken.“⁵ schreibt Maurice Merleau-Ponty in „Das Sichtbare und das Unsichtbare“ (erstmals erschienen 1964, als Menches gerade studierte) und formuliert damit ein ganz zentrales Thema Heinrich Menches’, der auch das Sehen immer wieder neu entdeckt. Die Entdeckungen, die er dabei macht, sind eine der Voraussetzungen für seine Bildfindungen.
Das letzte Bild der Ausstellung ist das einzige, das man politisch deuten könnte, „Tschernobyl Nature Morte“ zeigt einen durchsichtigen Plastiksack mit den Wochenzeitschriften DIE ZEIT und Der Spiegel unmittelbar nach der Tschernobyl-Katastrophe. So hält die Außenwelt wiederum vermittelt über Gegenstände, die im Atelier gestrandet sind, Einzug in das Bild, allerdings expliziter als zuvor. Mit dem Ausdruck Nature Morte, wörtlich toter Natur, wählt der Titel ein Wort, das anders und direkter als das deutsche Stillleben auf das referiert, was die Katastrophe von Tschernobyl tatsächlich ausgelöst hat.
Hildegund Amanshauser, 2023
¹ Ludwig Wittgenstein, „Tractatus logico-philosophicus“, 5.6, in: Ludwig Wittgenstein: „Tractatus logico-philosophicus, Tagebücher 1914-1916, Philosophische Untersuchungen“, Frankfurt a.M. 1984, S. 67
² https://museenkoeln.de/portal/bild-der-woche.aspx?bdw=2009_39 (Aufruf 18.01.2023)
³ Gespräch mit der Autorin am 29.12.2022
⁴ ebenda
⁵ Maurice Merleau-Ponty, „Das Sichbare und das Unsichtbare. Übergänge“, München 1986, S.18