Ausstellung zur Wiedereröffnung des Jesuitenfoyers
„Konstruktion und Wirklichkeit“ ist weder eine an Motiven orientierte Ausstellung, noch liegt der Akzent auf der Präsentation einzelner Kunstwerke als spezifische Schöpfungen von Künstlerinnen und Künstlern. Es geht nicht um die Ausstellung von Kunstwerken, sondern um Darstellung von etwas, das sich in den Werken und durch sie zeigt. Ich nenne es Konstruktion und Wirklichkeit. Jedes Kunstwerk ist ein Konstrukt und gibt die Art und Weise seiner Konstruktion zu erkennen. Kein Kunstwerk liefert ein Abbild von Wirklichkeit. Sehr wohl aber zeigt sich durch jedes Kunstwerk Wirklichkeit. Wirklichkeit ist jenseits des Kunstwerks zu entdecken, nicht in ihm selbst, auch nicht hinter ihm. Im Kunstwerk tritt der Betrachter immer sich selbst gegenüber. Erst im Absehen von sich selbst wird er offen für das, was ihm begegnet, ihm entgegenkommt. Dieses zeigt sich ihm, gibt sich ihm zu erkennen.
Die Kunstwerke der Ausstellung sind im Zeitraum von etwa 300 Jahren entstanden. Der Innenraum der Jesuitenkirche, vom Jesuitenbruder Andrea Pozzo ab 1703 gestaltet, ist integrierender Bestandteil der Ausstellung. Er ist einer der frühen Farbräume nördlich der Alpen und bis ins kleinste Detail gestaltet, reine Konstruktion. Täuschung und Enttäuschung gehen hier Hand in Hand. Was sich hier als Wirklichkeit zeigt, ist ein in den Bildern und im ganzen Raum im Wechsel von Hell und Dunkel, im Wandel des Lichts Entgegenkommendes. Was kommt entgegen? Farben, Formen, Leuchten, Glänzen, Figuren, Geschichten. Das alles muss im Zusammenhang dessen gesehen werden, was in diesem Raum gefeiert wird. Es ist das Entgegenkommen Gottes im Wort, in den Feiernden, in den Gestalten von Brot und Wein. Dieses Entgegenkommen Gottes in Gestalt des Brotes bildet auch die zentrale Wirklichkeit, um die herum als grandioser Rahmen jene riesige Kulisse errichtet wurde, die in der Figure 47 der Perspectivae Pictorum atque Architectorum des Andrea Pozzo (Augsburg, 1719) abgebildet ist. Das Allerheiligste war in der Monstranz inmitten dieser Bühne zur Anbetung im 40stündigen Gebet ausgestellt. Die Abbildung zeigt jenes „Theatrum“, das Pozzo 1695 für Il Gesù in Rom geschaffen hat.
Zwei Bilder aus dem späten 18. Jahrhundert (Martin Johann Schmidt „Kremser Schmidt“, Kreuzigung Christi, 1786; Schule des Kremser Schmidt, Kreuzigung, 1780er Jahre) zeigen das Entgegenkommen aus dem Hell-Dunkel-Kontinuum des Bildes. Das kleine Bild von Gunter Damisch („Flämmlergelbfeldrand“, 2010) feiert das Entgegenkommen strahlender Materie, der Farbe. Sie bildet nicht ab, sie ist Gegenstand, durch den Wirklichkeit erfahrbar wird, das Schwebende, Strahlende, Exponierte.
Die Kunst der Moderne und der Gegenwart behält das Abbildende vielfach bei, entdeckt aber als eigentlich Neues die Eigenmacht des Gegebenen, die Wirklichkeit der Dinge. Sie werden nicht wie früher abgebildet, sondern treten selber in Erscheinung. Gestaltung hilft dieser Wirklichkeit zur Erscheinung. Das zeigt sich im Umgang mit dem Stein, bei Karl Prantl (Adneter, späte 1990er Jahre) oder Peter Paszkiewicz (Adneter, um 1994). Eine Bodenplatte (Adneter, frühes 18. Jahrhundert) stellt den Bezug zur Jesuitenkirche her. Brigitta Franz hat eine Skulptur aus Untersberger Marmor geschaffen, die das Organische dieses hellen Kalksteins und seine schöne Dichte durch strenge Form zum Vorschein kommen lässt. Der Sockel aus Stahl und Holz führt auf seine Weise Stützen und Tragen vor („tragend getragen werden“, 1987).
Die Kunst von Meina Schellander zelebriert das Gegebene des Stoffes, der Dinge gemeinsam mit der Strenge der Konstruktion. Die so geschaffene Spannung ist der cantus firmus ihrer Kunst und Verweis auf die Wirklichkeit des Menschen in seiner Beziehung zur Welt (SENDER I, SPÄHERIN I, SENDER II, alle 2019).
Heike Schäfer zeichnet Geometrisches über die Spuren der Jahresringe einfacher Holzplatten und erweckt auf diese Weise einen Sinn für die Schönheit und den Zauber des Gegebenen. Ihre Arbeit zelebriert auf eigene Weise das große Motiv der alten Kunst, die Welt im Rahmen („Ebenen & Transparenzen 5“, 2018). Heinrich Heuer hat über Jahrzehnte immer neue Formen von der mittels der Radiertechnik bearbeiteten Kupferplatte auf das Papier gepresst. Sie feiern diese Technik, die ein Erwachsen der Bilder aus Vorhergehendem ermöglicht und immer dichtere Gestalten entstehen lässt. Das Wunderbare feinster Nuancen des Schwarz begegnet hier vermischt mit Erinnerungen an bereits Gesehenes („WÄSCHE“, 2013; „QUERSCHNITT“, 2015).
Einen besonderen Platz nimmt die Arbeit von Michael Baumgartner ein (DEADLOCK, 2016). Hier findet sich der Betrachter mit sich selbst konfrontiert, über einem kreisenden Räderwerk. Er sieht sich und sieht die Konstruktion. Er weiß, dass er immer auch sich selbst sieht, in allem, was ihm begegnet. Was sieht er noch? Kann er von sich selbst absehen? Was kommt dann zum Vorschein?
Gustav Schörghofer SJ