Tatiana Lecomte
Ersatz

30. Mai – 8. Juli 2007

Schönster Eindruck – Mord

Landschaften und Orte haben unterschiedliche Gesichter. Der Wald ist heimelig und unheimlich zugleich. Eine Ebene: Offenheit und Freiheit unter weitem Himmel, zugleich Schauplatz schrecklicher Schlachten. Mit diesem Zwiespalt der Landschaft setzt sich Tatiana Lecomte in ihren Fotografien auseinander. Sie begibt sich auf die Suche nach dem Abgründigen im Vertrauten. Sie macht aufmerksam auf Hintergründe im alltäglich Vordergründigen, auf Nebengeräusche in gewohnten Klängen. Für eine umfangreiche Serie von Landschaftsfotografien hat Tatiana Lecomte die Orte früherer Konzentrations- und Internierungslager aufgesucht. In Deutschland, Österreich, Polen, Frankreich. Von jedem Ort entstand eine Serie von Fotografien. Unscheinbar wirkende Landschaften, keine Schreckensbilder, keine Anklage. Selbst über das Grauen ist Gras gewachsen. Die Bilder von Tatiana Lecomte horchen in den Grund hinein. Sie machen hellhörig für etwas, das beim Nennen der Namen, beim Betrachten der von Natur und Alltag überwachsenen Stätten mitschwingt.

In Reclams Kunstführer (5. Auflage 1981) wird Schloss Hartheim, Oberösterreich, Gemeinde Alkoven, „wegen seiner Einheitlichkeit wohl als das bedeutendste profane Baudenkmal der Renaissance in Oberösterreich“ charakterisiert. „Den schönsten Eindruck vermittelt der rechteckige Hof.“ (68) In „Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert“ (1994) schreibt Ernst Hanisch: „Die ‚Euthanasieʻ begann bei kranken Kindern bereits im Sommer 1939. Der Kriegsbeginn ermöglichte dann die Tötung der Geisteskranken in breiter Form („Aktion T4“). Das Zentrum des Mordes in Österreich war Schloss Hartheim bei Eferding. Geschätzte 20.000 Kranke wurden dort mit Giftgas getötet. … Die Spezialisten des Todes, wie Christian Wirth und Franz Stangl, zogen von Hartheim weiter in die Vernichtungslager nach Polen.“ (385) Der schönste Eindruck, das bedeutendste profane Baudenkmal – und zugleich das Zentrum des Mordes? Wie kann das zusammen wahrgenommen werden?

Oft weichen wir aus. In der fünfteiligen Serie zu Schloss Hartheim hat Tatiana Lecomte dieses Ausweichen dargestellt. Durch eine kreisrunde Öffnung, die von Bild zu Bild immer größer wird, ist im ersten und zweiten Bild der Turm des Schlosses, sein markantes Erkennungszeichen, zu sehen. Dann wird der Blickwinkel geringfügig geändert. Der Turm verschwindet hinter einem Baumstamm. Das fünfte Bild zeigt die Laterne des zweiten Fotos, den Baumstamm und hinter dem Stamm gerade noch das Dach des Schlosses. Es kommt zwar immer mehr in den Blick, doch vom Entscheidenden immer weniger. Nebensächliches füllt das Blickfeld aus. Doch wer genau schaut, weiß, worum es geht und worauf es ankommt.

Gustav Schörghofer SJ

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