GABRIELE ROTHEMANN
SCHLANGENMOSAIK II

1. März – Mitte April 2022

Gabriele Rothemann, Schlangenmosaik II, 2014, Digitaldruck auf Kunststoff, 303×535 cm

In der Bibel ist die Schlange fast ausnahmslos negativ konnotiert: Verführerin zum Bösen in Gen 3, heimtückisch und bösartig in den Psalmen 58 und 140, als Staub fressendes Tier im Staub in Gen 3 und  Mi 7. Andererseits ist die Schlange auch ein Bild der Klugheit (Mt 10,16). Generell aber gilt, dass im Vergleich zu den sehr starken positiven Zügen der Schlangen in den Kulturen Ägyptens und der Antike die Bibel Schlangen mit Negativem verbindet. Nur ein Mal ist die Schlange, genauer gesagt das Bild einer Schlange, ausdrücklich lebensrettend. Als das Volk Israel auf dem Weg durch die Wüste von Giftschlangen überfallen wird und viele an den Bissen sterben, errichtet Mose auf Gottes Geheiß eine auf einem Pfahl angebrachte eherne Schlange. Wer auf sie schaute, blieb am Leben (Num 21). Auf diese Geschichte bezieht sich eine zentrale Stelle des Johannesevangeliums: „Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, durch ihn ewiges Leben habe.“ (Joh 3,14-15)

Vor der Karlskirche in Wien sind zwei große Engel auf hohen Podesten zu sehen. Der linke hält den Stab mit der ehernen Schlang, der rechte hält ein Kreuz. So wie der Blick auf die Schlange lebensspendend war, so ist es der Blick auf das Kreuz und den Gekreuzigten. Die Schlange also als heilendes Wesen. Diese Bedeutung hat sie auch in der Antike gehabt. Der Gott der Heilkunst Asklepios trug einen Stab mit der Äskulapnatter. Die Natter ist daher Sinnbild der Ärzte und Apotheker geblieben. Noch heute ist über jeder Apotheke die Schlange zu sehen. Zu ihr schauen wir noch heute auf, wenn wir Heilmittel suchen.

In der Regel wird die Bedeutung von Schlangen entweder positiv oder negativ gesehen. Das Bild der Schlange lässt sich aber, folgt man Hinweisen in der Bibel, auch dynamisch betrachten. Darauf gehe ich im Folgenden kurz ein. Dynamisch meint hier, dass sich durch einen geänderten Standort oder Status des Betrachters die negativen Züge ins Neutrale oder sogar ins Positive wenden. Andeutungsweise geschieht das schon, wenn sich die Listigkeit von Gen 3 in die Klugheit in Mt 10 wandelt. Ausdrücklicher weist die Beschreibung der Herrschaft des gerechten Königs in Jes 11,8 darauf hin: „Der Säugling spielt am Schlupfloch der Otter, und in die Höhle der Natter streckt das entwöhnte Kind seine Hand.“ Und noch deutlicher weist das Neue Testament darauf hin: „Denen aber, die glauben, werden diese Zeichen folgen: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben, in Zungen reden, Schlangen aufheben …“ (Mk 16,17-18) Wer sich Gott anvertraut, dem wird das Lebensbedrohende nicht mehr schaden. Ja, mehr noch, ihm zeigt sich im Bild des Todes der Anfang neuen Lebens. Die den Tod bringende Schlange wird zur Bewahrerin des Lebens, zur heilenden Kraft. Die eherne Schlange verweist daher auf den am Kreuz erhöhten Jesus Christus. Der durch den Glauben veränderte Standort des Betrachters lässt im Bild des Todes das Bild des Lebens erkennen. Das ist ein Hinweis auf die kreative, die Sicht der Welt wandelnde Kraft des Glaubens. Was zuvor nicht zugelassen werden konnte, was verbannt und verdammt werden musste, hat nun einen Platz in einer von der erlösenden Kraft des Glaubens durchdrungenen Welt und erweist sich als gefahrlos. Es kann mit Ruhe zugelassen und betrachtet werden, da von ihm kein Unheil mehr ausgeht. Mehr noch: Es steht am Beginn neuen Lebens.

Die Lainzer Schlangen sind ein Großdruck nach einer Fotografie von Gabriele Rothemann. Der Titel dieser Arbeit ist: Schlangenmosaik II. Die Schlangen wurden auf weißem Grund von oben fotografiert. Ihre sich windenden Körper bilden eine ornamentale Form. Durch spezielle Belichtung wurden auf die Körper der Schlangen mosaikartige Muster aufgetragen. So sind sie halb Stein und halb lebendig. Sie sind im Bild gebannt und können keinen Schaden tun. Sie gleichen der Medusa, die, als sie sich selbst im Spiegelbild erblickte, erstarrte. Das Bild ist nicht die Wirklichkeit, es nimmt der Wirklichkeit ihre Schrecken und befreit die, die das Bild betrachten.

Gustav Schörghofer SJ

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