Fest gewordenes Wachs
Grüntöne, Blautöne, helle Schlieren, blaugrün wie ein kostbarer Stein, wie Serpentin. Eine Mulde, eine Schale, wie eine Wiege, oder eine Welle, wässrig bewegte Oberfläche, schimmernd, eine Geste des Umfangens, des Bergens von etwas, des Behütens. FOUNTAIN von Claudia Märzendorfer ist eine stille Skulptur, eine, die ein Geheimnis wahrt, die etwas verbirgt und nicht so leicht preisgibt. Sie ist zart und machtvoll zugleich. Erst bei näherem Hinsehen gibt sich das Material zu erkennen: Wachs. Flüssiges Wachs wurde in einen Hohlraum zwischen miteinander verschweißten Plastikfolien gegossen. Ein Wagnis bei dieser Menge, 120 kg Wachs. Halten die Folien dicht? Lassen sie sich nach dem Erkalten vom Wachs lösen?
Claudia Märzendorfer hat bereits mit Wolle gearbeitet, mit Eis, mit Dentalgips. Wachs ist neu für sie. Bemerkenswert ist, dass all diese Materialien eingesetzt werden, um etwas darzustellen, das ihnen nicht entspricht. Mit Wolle wurden Teile eines Lastwagens gestrickt, mit Eis Wäschestücke, Schallplatten oder Möbel geformt, mit Gips oder Wachs Hohlräume im Inneren von Plastik ausgegossen. Das Ergebnis wirkt immer etwas befremdend. Hier treten uns Dinge entgegen, welche die Selbstsicherheit des bereits Vorhandenen unterlaufen. Ein aus Wolle gestrickter Motorblock, nur kurz abspielbare Schallplatten aus Eis, schmelzende Möbel – all das stellt die Verlässlichkeit der üblichen Dinge in Frage. Vom umhüllenden Plastik befreite Hohlräume treten als Gegenstände auf. Hier begegnet uns eine Dingwelt, die durch etwas hindurchgegangen ist, die etwas hinter sich gelassen hat. Daher entzieht sie sich auch immer wieder dem unmittelbaren Begreifen. Im wortwörtlichen Sinn lassen das die Gebilde aus Eis erfahren. Sie schmelzen vor den Augen der Betrachterin, sie lassen sich nicht festhalten, schwinden dahin. Doch auch das in Gips und Wachs Geformte entzieht sich dem raschen Zugriff. Aus Flüssigem ist hier Festes hervorgegangen, das Flüssige hat sich in Hüllen geschmiegt, die nicht mehr vorhanden sind, ist fest geworden und bezeugt als fest Gewordenes eine Welt jenseits von Kunststoff und Plastik. Dieses Festgewordene ist schön, zauberhaft, kostbar und zerbrechlich. FOUNTAIN ist fest gewordenes Wachs, die Skulptur ist zugleich auch Fest gewordenes Wachs, ein Lob auf dieses einfache und zauberhafte Material.
Wachsmodelle gibt es traditionell in der Anatomie, die Moulagen, oft auch im religiösen Kontext, Darstellungen der Madonna, des Herzens Jesu, Krippenfiguren. In der Bildhauerkunst werden Wachsmodelle mit feuerfestem Material umgeben und ausgeschmolzen. In den entstandenen Hohlraum wird das Material der Skulptur gegossen, meist Metall. Claudia Märzendorfer geht den umgekehrten Weg. Sie gießt Wachs in den Hohlraum. So entsteht eine Skulptur, der alle Festigkeit der in Metall gegossenen Skulpturen abgeht. Wie andere Arbeiten von Claudia Märzendorfer ist sie leicht hinfällig. Ihre Oberfläche ist verletzlich, weich, ein Gebilde am Rande des Andersseins, des Zerfließens, des Zerfallens. Alles Harte, Feste ist hier nur scheinbar, denn diese Welt ist hoch sensibel und immer dem Verfall preisgegeben. Hier wird Transformation vor Augen geführt, Hohlräume werden zu festen Körpern umgeformt, feste Körper in prekäre Existenzen, die jederzeit die Bestimmtheit ihrer Gestalt verändern können, wenige Grade wärmer würden genügen.
Die Skulpturen von Claudia Märzendorfer sind fernab von allem Figurativen. Und doch haben sie eine viel engere Beziehung zum menschlichen Körper, ja zu den Körpern aller Lebewesen, als jede naturgetreue Darstellung. Sie führen uns das Prekäre unserer eigenen Existenz vor Augen. Und sie sind schön, wunderbar, zauberhaft. Es gibt daher für FOUNTAIN keinen besseren Zeitpunkt als unsere Gegenwart mit all ihren Gefährdungen und Unsicherheiten. Und es gibt keinen besseren Ort für diese Skulptur als jenen, an dem die Schönheit, das Wunder und der Zauber des Lebens gefeiert werden.
Gustav Schörghofer SJ
Bildrechte: Jesuitenkunst (1, 2, 5), Märzendorfer (3, 4)