Verdichtete Erinnerung
Zu den Arbeiten von Martin Ivic
Die im JesuitenFoyer gezeigten Arbeiten von Martin Ivic, Skulpturen und Graphiken auf Papier, sind im Zeitraum von etwa dreißig Jahren entstanden. Aus der Mitte der 90er Jahre stammt eine Skulptur aus Kirschholz und Marmor aus Thasos. In die Jahre danach gehören drei Steinskulpturen, Welle (Muratta Marmor) und zwei Arbeiten aus dem norwegischen Labrador. Um 2005 ist eine Arbeit aus Diabas entstanden, Kriechendes. Die jüngsten Arbeiten sind Weißer Rücken der Zeit (Laaser Marmor) und Wie ein Herz (Portugalo Marmor). Dazu kommen noch Dekonstruktives Objekt 1 und Dekonstruktives Objekt 2 aus schwedischem Granit auf Sockeln aus bulgarischem Donaukalk und Portugalo.
Martin Ivic geht mit den Steinen sorgfältig um, er achtet ihre Eigenart. Die Schönheit des grobkristalligen Marmors aus Thasos, die wie Augen leuchtenden Feldspateinschlüsse des Labrador, die nebelhaften Schlieren im Portugalo oder im Laaser Marmor, die Dichte des Diabas oder des schwedischen Granit, all das gehört wesentlich zur Gestalt dieser Skulpturen. Je nach Eigenart des Steines glänzen sie oder schimmern matt. Charakteristisch für die Arbeit von Martin Ivic ist das Eintragen von zeichnerischen Elementen in den Stein. Das kann eine zackige Linie sein (beim Thasos-Marmor) oder wellige Linien bei liegenden Steinen, gerade Profile und eine Einkerbung bei der senkrechten Skulptur Fructus oder Kratzer und Bearbeitungen mit dem Zahneisen bei Wie ein Herz. Wichtig sind auch roh belassene Bruchstellen. Mit der Flex wurde in den schwedischen Granit ein Netz von Linien oder ein Büschel von Linien gezogen. Ebenfalls wichtig für die Skulpturen ist eine Beziehung zum Körper, die mitunter leicht zu erkennen ist: Kriechendes, Weisser Rücken der Zeit, Wie ein Herz. Bedeutsam ist aber, dass diese Beziehung nicht den Charakter des Figurativen hat, sondern nur als Erinnerung an Körperliches zu verstehen ist. Erinnert wird an verstümmelte Körper, an Hingeworfenes, an Herzartiges, auch an Verwundung, an hingestrecktes Leibartiges.
Eine Stille geht von diesen Steinen aus. Und sie alle erinnern an etwas, sie verdichten Erinnertes. Die Jahrmillionen der Erdgeschichte sind in ihnen gegenwärtig (Diabas ist über 300 Millionen Jahre alt). Gegenwärtig ist auch die kulturgeschichtliche Bedeutung der Steine. Der Marmor aus Thasos wird seit den 6. Jahrhundert v. Chr. abgebaut und zählte zu den begehrtesten Steinen der Antike. Schwedischer Granit war im 20. Jahrhundert ein begehrtes Material für Grabsteine. Die Steine von Martin Ivic erinnern darüber hinaus an körperliche Erfahrungen, an Bewegungen und Haltungen, an architektonische Ordnungen wie Waagrechte und Senkrechte. Und sie erinnern an die Werke anderer Künstler aus der Geschichte. Das Betrachten und Berühren dieser Steine ist der Beginn einer weiten Reise in die Bereiche eigener körperlicher Erfahrungen und erinnerter Begegnungen mit Natur, Geschichte und Kunst.
Die Arbeiten auf Papier sind Tuschgraphiken auf einem Grund aus zartem Neapelgelb. Sie zeigen eine freiere Gestaltung der zeichnerischen Elemente der Steine.
Gustav Schörghofer SJ
Fotocredit: Martin Ivic (1–3), Jesuitenkunst (4)