Beatrix Zobl ist mir zuerst durch Fotografien, die Leben und Arbeiten in einer Fabrik dokumentieren, bekannt geworden. Später hat sie mir eine Reihe von neuen Arbeiten gezeigt. Sie gibt der Serie den Namen „Das Ozeanische Gefühl“. Es sind Arbeiten in der Tradition von Fotogrammen, einer fotografischen Technik, bei der auf lichtempfindlichen Grund Gegenstände gelegt werden, deren Schatten als Helle nach Belichtung und Entwicklung sichtbar bleiben. Seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts wird diese Technik angewandt. Beatrix Zobl trägt auf dünnes Papier eine lichtempfindliche Salzlösung auf und legt sich selber auf das Papier. Die Belichtung geschieht im Sonnenlicht. Außer dem Körper der Künstlerin ist auf einigen der Blätter auch die Nachbildung eines Penis zu erkennen. Fast alle Blätter sind farbig, Cyan blau, mitunter ins Grünliche changierend. Sowohl der Körper als auch die körperfremden Gegenstände sind unscharf und eingebettet in ein nebliges Feld.
Die Bezeichnung „Das ozeanische Gefühl“ wird von Romain Rolland in einem Briefwechsel mit Sigmund Freud zur Bezeichnung einer Ursprungszone des Religiösen verwendet, einer mystischen Erfahrung der All-Einheit. Das Aufgehen des abgeschlossenen Körpers und der streng separierten Geschlechter in einer umfassenden Einheit lässt sich in den Arbeiten von Beatrix Zobl erkennen. Sie wirken alle sehr fragil, allein schon durch das verwendete dünne Papier. Doch tragen auch die wolkenartigen Formen und unscharfen Konturen zum Schwebenden, Labilen, äußerst Sensiblen des Gesamteindrucks bei. Weibliches und Männliches gehen ineinander, doch wird dabei das Männliche ins Weibliche integriert.
Die Schatten des Frauenkörpers erscheinen als helle Zonen. Das Schattenhafte bestimmt trotz der Wandlung des abwesenden Körpers ins Lichte die Bilder. Sie sind gewissermaßen Erinnerungen an ein einmal Gewesenes, Zeugen der verlorenen Gegenwart eines Abwesenden. Dieser Charakter verbindet sie mit Erfahrungen von Tod und Sterblichkeit. Sie rufen die Erinnerung an die Schatten von Hiroshima wach, im Augenblick der Atombombenexplosion entstandene und in die Wand oder den Boden eingebrannte Umrisse von Menschen. Eine Parallele zu den Anthropometrien von Yves Klein ist in den Arbeiten von Beatrix Zobl nicht zu finden, da sowohl die Technik wie auch die Bedeutung von Künstler und Modell eine gänzlich andere ist. Auch zu den in der katholischen Kirche verehrten heiligen Tüchern mit dem Abdruck des Gesichtes oder des Körpers Jesu Christi, wie der Veronika oder dem Turiner Grabtuch, haben die Arbeiten von Beatrix Zobl keine Nähe. Sie stehen vielmehr in der Tradition der Fotografie und erweitern die Möglichkeiten dieses Mediums. Auf welche Weise geschieht das?
Die Arbeiten von Beatrix Zobl bilden nicht nur etwas ab, sondern machen darüber hinaus eine Ebene anschaulich, auf der Getrenntes eine Einheit bildet. Getrennt wären der Körper und sein Umraum, Männliches und Weibliches, Körperliches und Nicht-Körperliches. Im Medium der Arbeiten von Beatrix Zobl bildet all das eine Einheit. Diese Einheit ist wahrnehmbar, ohne dass die Unterschiede verschwinden. Die Bilder erinnern an die Flüchtigkeit des Körperlichen und bezeugen zugleich seinen Bestand. Sie bezeugen die Bedeutung des Körperlichen als des Mediums unserer Welterfahrung. Wir sind Körper und als Körper mit der Welt verbunden, die sich uns im und durch den Körper mitteilt. Beatrix Zobl ist es mit ihren Bildern gelungen, für diese elementare Wirklichkeit eine anschauliche Form zu finden.
Gustav Schörghofer SJ