Die Klammern sind an den Wandflächen zwischen den Fensteröffnungen des Umgangs angebracht: 32 Emaille-Objekte, 13,5 cm hoch, ein Quadrat an der Seite zum Innenraum hin, dann um das Eck des Betonquaders herum und über die ganze Tiefe des Quaders. Die Tafeln sind weiß emailliert und farbig bemalt. Die Bemalung besteht aus jeweils nur zwei Strichen, einem breiten oben und einem schmalen darunter. Die Farben entsprechen den liturgischen Farben des Kirchenjahres. Im Uhrzeigersinn betrachtet ergibt sich so ein Weg durch das Jahr, von der Fastenzeit bis hin zum Aschermittwoch. Dass der Anfang mit der Fastenzeit gemacht wird, ergibt sich durch das Datum der Anbringung der Installation in der Fastenzeit 2020.
In der Kunst von Sabina Hörtner spielen die Grenze zwischen Innen und Außen, der Übergang von Innen nach Außen und der Blick ins Offene eine bedeutende Rolle. Große Arbeiten auf Papier zeigen dicht gezogene Parallelen, leicht verschoben übereinander gelagert. Sie sind über die weiße Fläche gelegt, die so zu einem Raum dahinter wird, ein Offenes, das nicht unmittelbar zugänglich ist, sich aber von jenseits der Grenze mitteilt. Das Außen kommt dem Innen entgegen, wenn sich dieses dem Außen zu auftut. Die parallelen Linien sind eine Abgrenzung und Eröffnung zugleich. Ihr Sinn besteht nicht in einem abstrakten Formenspiel, sondern darin, eine Zwischenzone zu sein zwischen dem Davor und dem Dahinter. Davor ist der Betrachter, dahinter ein jenseitiger Raum. Jenseitig heißt hier, jenseits der Grenzen meiner Welt.
In den über die weiße Fläche des Emails gezogenen Strichen sind die parallelen Linien der Papierarbeiten wieder zu finden. Die Klammern erschließen einen Raum von der Oberfläche der Innenwand hin in die Tiefen der Fensteröffnungen des Umgangs. Sie betonen die Raumhaltigkeit der den Innenraum der Konzilsgedächtniskirche umfangenden Wände. In diesem Raum ereignet sich das farbige Spiel der Liturgie. Der Ernst dieses Spiels besteht darin, die Ereignisse des Lebens Jesu und der Heilsgeschichte in Verbindung zu bringen mit den Ereignissen im Leben der Gemeinde und der einzelnen Gläubigen. Die Farben der Liturgie sind Tore zum Leben, Markierungen an der Grenze des gesellschaftlich Irdischen hin zu jenem weiten Raum, der nicht mehr im Maß des Irdischen zu fassen ist. Auch sie geben eine Grenze an: das Violett zum Gedämpften und Verhaltenen der´Vorbereitungszeiten, das Weiß (hier ein Silbergrau) zum sieghaft Festlichen, das Rot zur Welt des Geistes und der Märtyrer, das Grün zum Raum einer anhaltenden Ruhe und Hoffnung. Die Farben prägen gewissermaßen die Atmosphäre der jeweiligen Zeit im Jahreskreis.
Die Klammern wurden so angebracht, dass sie eine an- und absteigende Linie ergeben. Sie bezeichnen einen Horizont, das Sich-Erheben, Abflachen und neuerliche Sich-Erheben einer Horizontlinie, die von Blicken in die Weiten bewaldeter Höhenrücken oder ferner Berge vertraut sein kann. Es ist nicht der Horizont des Meeres oder die gerade Linie mächtiger Ebenen, es ist eine leichte Schwingung in dieser Linie, Höhenrücken und flache Stellen dazwischen. „In Klammer“ eröffnet auf diese Weise einen Horizont im zeitlichen wie auch im räumlichen Sinn. Ein Zugang zu weiten Räumen und Zeiten tut sich auf.
In gewisser Hinsicht ist die Rauminstallation von Sabina Hörtner auch ein Schmuck für die karge Architektur der Konzilsgedächtniskirche. Es ist ein Schmuck, der manche Elemente des Raumes aufgreift, das Weiß der Stahlflächen etwa, und der diese Elemente der Architektur mit dem im Raum Gelebten in Verbindung bringt. Das Leben des liturgischen Jahres ist farbig, nicht grau. Diesem Leben bietet die Architektur von Josef Lackner einen wunderbaren freien Raum, ein Innen, das die Grenzen zum Außen stets gegenwärtig hält. In der Gestaltung der Architektur hat Josef Lackner etwas zur Darstellung gebracht, das auch für die Kunst von Sabina Hörtner charakteristisch ist.
Gustav Schörghofer SJ