Drei Anmerkungen zur Kunst von Catrin Bolt
Es ist gar nicht so leicht, die Kunst von Catrin Bolt zu beschreiben. Denn merkwürdigerweise verbirgt sich ihre Kunst hinter vielen Masken. Die von ihr verfertigten Dinge sehen nicht so aus wie Kunst, zumindest nicht auf den ersten Blick. Dass die Fotos karger Landschaften, merkwürdiger Architekturen und ramponierter Viktualien, dass Schriftbänder auf Gehwegen und Orientierungstafeln in der Landschaft, dass Stapel von Möbeln und die Aneinanderreihung weißer Gegenstände im Grünen Kunst sind, das muss einem erst einmal aufgehen.
Das wäre vielleicht die erste Anmerkung zu diesem Werk: Die Kunst von Catrin Bolt muss einem aufgehen. Um sie wahrzunehmen, muss man sich in Bewegung setzen, im wahrsten Sinn des Wortes aufbrechen und gehen, gehen, gehen. Die Kunst von Catrin Bolt wird erst dann wahrnehmbar, wenn Zeit mit ihr verbracht wird. Es ist keine Kunst auf den ersten Blick, keine Kunst der schnellen Wahrnehmung, des raschen Hinschauens. Die Kunst von Catrin Bolt gestaltet Zeit.
Ein einfacher Vorgang, die Fahrt eines Autos durch einen Park, wird immer wieder neu vorgeführt. Zuerst mit dem ursprünglichen Auto, dann mit anderen. Die Wiederkehr des immer Gleichen, ein zirkulärer Vorgang und zugleich eine dramatische Steigerung. Die Wiederkehr des Gleichen wird übergeführt in die dramatische Apotheose von – ja, von was eigentlich. Es ist immer der gleiche Vorgang, ein völlig banales alltägliches Ritual, das sich in ein optisches und akustisches Fest verwandelt. Und dann ist alles wieder beim Alten.
Oder die Alltagsskulpturen, die Erinnerungen von Jüdinnen und Juden an Ereignisse wachhalten, die eben dort stattgefunden haben, wo sie zu lesen sind. Die Texte wurden mit Kaltplastik auf Gehwegen angebracht. Die Buchstaben sind 16 cm hoch, also verhältnismäßig klein und doch groß genug, um sich als Gegenstand zu behaupten. Die Farbe ist 2 oder 3 mm dick aufgetragen, das Schriftband tritt also plastisch hervor. Stolpern kann niemand, aber ertasten ließe sich die Schrift doch. Sie wird im Schreiten gelesen, der Text nimmt in der Bewegung Gestalt an, entfaltet sich als kleine Geschichte, die Bruchstücke der Erinnerung eines Menschen, der vor langer Zeit hier war. Juden und Jüdinnen im Wien der Naziherrschaft.
Manchmal ist die Kunst von Catrin Bolt nur kurz zu sehen, taucht auf im öffentlichen Raum und verschwindet wieder. Die Guerilla-Skulpturen sind auf Fotos erhalten geblieben, nicht als Körper, die im Weg stehen. Ich muss mich wenigstens in Gedanken auf den Weg machen und sie an ihren Ort stellen, damit sie ihren Charakter als Skulpturen bewahren. Etwas, das kurze Zeit war und nicht mehr ist, wird von mir, dem Betrachter, nach langer Zeit wieder hergestellt.
Gestaltung von Zeit geschieht auch dort, wo Catrin Bolt Vorgänge der Verwitterung, des Verschleißes als ein integrierendes Element in ihre Kunst einbaut. Das gilt für die Alltagsskulpturen, deren Buchstaben sich unter den Schritten der über sie Schreitenden abnutzen genauso wie für die Sandstrahlbilder, die als Denkmale für die Universität Wien vorgeschlagen worden sind.
Eine zweite Anmerkung: Die Kunst von Catrin Bolt begibt sich in die Randzonen des Alltäglichen, in die Bereiche des Mülls und des Abfalls, in die Bereiche des Übersehenen, nicht Beachteten. Das können Makroaufnahmen von Gegenständen sein, die sich in der Nahsicht zu phantastischen Gebilden entwickeln, zu Bauten und Landschaften, die an schon Gesehenes erinnern und doch ganz anders sind. Oder Fotografien von Plastiksäcken, die karge Gebirgszüge oder wüstenartige Landstriche zu zeigen scheinen. Oder Stillleben aus weggeworfenen Lebensmitteln, die an Bilder des 17. Jahrhunderts denken lassen. Die Wendung zum Geringen, zum Verworfenen prägt die Kunst von Catrin Bolt und reiht sie in eine große Tradition der Kunst des 20. Jahrhunderts ein. Diese Tradition findet in ihrer Kunst eine eigene und unverkennbar persönliche Gestalt. Catrin Bolt hat einen erstaunlich scharfen Blick für den Rand. Ihre Kunst bewegt sich am Rand dessen, was als Kunstwerk wahrnehmbar ist und führt über diesen Rand hinaus. Sie ist eine Grenzgängerin und schafft Routen sensibler Wahrnehmung von Geschichte und Gegenwart.
Eine dritte Anmerkung: Die Kunst von Catrin Bolt besitzt keinen Humor. Sie kann gar keinen Humor besitzen. Besessen wird Humor ja nur von Humorlosen, die sich hinter einen roten Nase verschanzen. Die Kunst von Catrin Bolt ist das leise Lächeln der Dinge, ihr Zwinkern, eine Liebeserklärung an tausend Möglichkeiten, die niemand sieht, weil sich niemand Zeit nimmt dafür. Diese Kunst geht schulterzuckend und munter pfeifend an den bunten Buden des Kunstmarkts vorbei.
Die Kunst von Catrin Bolt ist eine Begleiterin in ein wahrnehmendes Denken, das staunend entdeckt, wie anders die Welt sein kann, wie sehr durch die Kühnheit des gestaltenden Blicks die Welt zu verändern ist, wie Mächtiges entthront und Verachtetes erhöht wird. Diese Kunst kommt von weit her und ist für die Gegenwart geschaffen. Sie überspielt nicht die Gefährdung der Gegenwart, sondern verwandelt sie spielerisch und hält dadurch Zukunft offen.
Gustav Schörghofer SJ