NILBAR GÜRES

10. Dezember 2014 – 1. Februar 2015

REDE ZUR VERLEIHUNG DES OTTO MAUER PREISES 2014

Das Läuten der Glocke habe ich gehört, noch bevor ich die Frauen kennengelernt habe. Sie lebten schon lange dort, bereits seit tausenddreihundert Jahren. Sie verständigten sich mit Glockenzeichen. Wenn eine in dem riesigen Gebäude gesucht wurde, läutete die Glocke unterschiedliche Signale, je nachdem, wer gesucht wurde und wohin sie kommen sollte. Ich habe den Klang dieses Läutens noch im Ohr. Die Frauen mochten meinen Vater und haben manchmal in praktischen Dingen seinen Rat gesucht. Einmal habe sie uns einen Teil der Schätze gezeigt, die sie seit Jahrhunderten aufbewahrten. Später habe auch ich einige der Frauen kennengelernt. In der Früh kamen sie jeden Tag zu einer Feier zusammen. Dazu wurde auch ein Mann eingeladen, er war notwendig, aber er durfte den Raum nur in einer besonderen Kleidung betreten. Ich war zugelassen, auch wenn ich keine besondere Kleidung trug. Meine schöne Freundin begleitete mich. Die Frauen meinten schon, wir würden heiraten. Doch es ist dann alles anders gekommen. Die Frauen sind mir unvergesslich geblieben. Denn von ihnen, den Frauen des Klosters Nonnberg in Salzburg, habe ich gelernt, dass es inmitten einer von Männern dominierten Welt noch eine ganz andere Welt gibt, eine Frauenwelt. Sie kennt Schönheit, Zauber und Wunder, von denen die Männer keine Ahnung haben. Die Frauen bekämpfen die Männer nicht, sie protestieren nicht, rebellieren nicht, sie schaffen eine eigene Welt. Am Nonnberg gibt es diese Welt schon seit tausenddreihundert Jahren, ohne Unterbrechung. Zur Weihe erhält die Äbtissin eine Krone und einen Hirtenstab.

Die Kunst von Nilbar Güres hat mich wieder an diese Frauenwelt erinnert. Nilbar Güres hat eine wunderbare Gabe, Bilder zu entwerfen. Sie gestaltet nicht Abbilder herrschender Verhältnisse, die möglicherweise schockieren, zur Rebellion aufrufen, erschüttern. Sie erschafft Bilder, die zeigen, dass innerhalb der herrschenden Verhältnisse auch etwas ganz anderes möglich ist, ja dass dieses ganz Andere bereits jetzt Wirklichkeit ist. Bilder können das. Sie erschaffen eine Wirklichkeit und setzen diese Wirklichkeit gegenwärtig. Sie verbessern auf diese Weise die Welt. Kunst kann die Welt besser machen, indem sie Bilder schafft. Indem sie die Möglichkeit bietet, inmitten des Zwangs äußerer Verhältnisse frei zu atmen.

Die Kunst von Nilbar Güres hat sehr viel mit den Nöten des Lebens zu tun. Sie entsteht vor dem Hintergrund der Unterdrückung von Minderheiten und der Ausbeutung von Frauen. Nilbar Güres hat einen sehr feinen Sinn für Gerechtigkeit. Doch geht es in ihrer Kunst nicht zuerst darum, sich unmittelbar gegen Unterdrückung und Ausbeutung einzusetzen. Das betreibt die Künstlerin auch, aber auf eigene Weise. Ihre Kunst geht andere Wege. Sie zeigt, dass es Freiräume gibt, in denen das Unrecht bereits überwunden ist, Freiräume, die inmitten der herrschenden Verhältnisse geschaffen werden. In ihrer Kunst erschafft Nilbar Güres eine Frauenwelt. Da gibt es Kühnheit, Humor, Geheimnis, Erotik, vieles schwebt, ist ganz leicht und luftig, und doch voll Leben, heiter auch im Schweren.

Zur Arbeit von Nilbar Güres gibt es schöne Texte, von Basak Senova, Silvia Eiblmayr oder Adnan Yildiz. Der von mir genannte Aspekt kommt vielleicht ein bisschen zu kurz. Ich gehe am Beispiel einiger Arbeiten etwas genauer auf ihn ein.

Der Vater von Nilbar Güres stammt aus einem kleinen Dorf in Ostanatolien. Die dort lebenden kurdischen Aleviten werden von der Regierung als nicht erwünschte Minderheit behandelt. Die Verbindungen zur Außenwelt und die Bildungsmöglichkeiten sind sehr begrenzt. Seit einigen Jahren verfügen die Bewohner des Dorfes zwar über Mobiltelefone, müssen aber, um zu kommunizieren, auf einen der umliegenden Hügel oder Berge steigen. Denn im Tal ist kein Empfang. Über zwei Jahre hat Nilbar Güres das Dorf immer wieder besucht. Sie ist mit auf die Anhöhen gegangen und hat die telefonierenden Männer und Frauen fotografiert. Die Bilder der im Wechsel der Jahreszeiten inmitten einer offenen Weite stehenden Menschen haben etwas sehr Stilles und Großes, es sind Bilder voller Würde und Weite. Sie führen zugleich in ein Geheimnis, etwas Tiefes, denn wie oft sind Menschen durch die Jahrtausende auf einen Berg gestiegen, um zu kommunizieren, um einen besseren Empfang zu haben.

Zwei Fotoserien, Circir und TrabZONE, sind Frauen in häuslicher Umgebung gewidmet. Da ist eine Frau zu sehen, barfuß auf kargem Bretterboden, eine Sparlampe über sich. Ihr Gesicht bleibt unsichtbar, verborgen hinter einem riesigen Berg Bettwäsche. Den trägt sie auf beiden Händen leicht, als wäre er gewichtlos. Alles scheint zu schweben. Ein anders Bild zeigt vier Frauen in einem Wohnzimmer. Sie sitzen auf Polstermöbeln, die von Tüchern abgedeckt sind. Zugleich mit den Möbeln sind aber auch die Frauen abgedeckt. Kleider sind so auf die abgedeckten Körper gelegt, dass sie die Frauenkörper gewissermaßen wieder sichtbar machen. Was sonst verhüllt, macht hier sichtbar. Kleidung bezeichnet den Ort der Frauen. Sie selbst aber entziehen sich in eine eigene Gemeinschaft, sind gegenwärtig und zugleich unsichtbar. Zwei Frauen stehen vor einem Haus gemeinsam auf einem Teppich. Eine bürstet langes Gras, die andere ist tief über einen strahlenden kreisrunden Gegenstand gebeugt, einen Spiegel. Die Szene wirkt auf den ersten Blick wie ein alltäglicher Vorgang, bei genauerem Hinsehen taucht das Auge ins Wunderbare und Geheimnisvolle ein. Dieses Eintauchen wird den Augen beim Betrachten der Bilder von Nilbar Güres immer wieder geschenkt. Es geschieht auch angesichts des Bedrohlichen. Vor einer riesigen Tunnelbaustelle vollziehen Frauen unscheinbare Rituale. Eine übergibt der anderen einen Armreif, andere ruhen auf einer Matratze unter einer gemeinsamen Decke, grünes Gras, ein knospender Zweig und die Gemeinschaft der Frauen bilden einen so stillen wie starken Gegensatz zu der übermächtigen Abraumhalde. Oder die Versammlung in einer bizarren Gartenlaube, umlagert von Dunkel, zwölf Frauen und ein Lamm. Eine Frau spricht in ein Mikrophon, was? Das Lamm im Schoß einer anderen, wofür? Die helle Insel im Dunkel, wo?

Stoffe und ihre Beziehung zum Körper spielen in der Kunst von Nilbar Güres eine sehr bedeutende Rolle. Von ihr geschaffene Bilder, Zeichnungen oder Collagen auf großformatigen Stoffen, zeigen Frauen und Kleider und viel Kleines, alles wie schwebend und leicht, locker zueinander in Beziehung gesetzt, so dass suchende Augen eigene Geschichte aus all dem spinnen können. Das Freie, Luftige, Schwebende, Spielerische, Offene, Wunderbare und Zauberhafte ist eine Grundstimmung dieser Bilderfindungen, selbst dort, wo es etwas düster zugeht. Sie sind von allen Zwängen frei. Daher auch nicht ideologisch zu vereinnahmen, auch nicht im Sinn eines Protestes gegen politisch oder religiös motivierte Unterdrückung. Nilbar Güres lebt im Bewusstsein dieses Unrechts. Sie hat andere Mittel gefunden, um dagegen vorzugehen. In ihrer Kunst zeigt sie einen von Frauen geschaffenen Freiraum inmitten herrschender Verhältnisse, eine offene Zone, in welcher der Beginn des Neuen und Anderen bereits gelebt und gefeiert wird. Mir scheint, es handelt sich in ihren Bildern um ganz eigenartige Feierrituale. Männer sind da nur zugelassen, wenn sie von den Frauen gemocht werden.

Gustav Schörghofer SJ

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