2012 war ich in einem Förderungsprojekt für junge Künstlerinnen des Bundeskanzleramtes als Mentorin beteiligt. Die Künstlerin Katharina Stieglitz wurde mir als Mentee für ein Jahr zugeordnet. Im Laufe der Gespräche lernte ich ihre Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie verstehen und ihr Werk schätzen.
Bei einem unserer Treffen fragte ich sie, was sie sich wünschen würde. Sie drückte den Wunsch aus, mit der befreundeten Künstlerin Gerlinde Wurth auszustellen. Für diesen Vorschlag konnte ich Gustav Schörghofer und Veronika Zacherl gewinnen, die heutige Ausstellung ins Jesuitenfoyer einzuladen.
Die beiden Künstlerinnen entschieden sich, die Arbeiten gemeinsam auszustellen, die inhaltliche und formale Nähe aufweisen und einen Dialog zweier Kunstschaffender verschiedener Generationen eröffnen.
Seit 1979/1980 (Gerlinde Wurth fertigte ihre letzten Materialbilder an) widmet sich Gerlinde Wurth ausschließlich ihren Arbeiten auf Papier. Unbeirrt zeichnet sie täglich mit Tusche auf Zeichenpapier. Flächendeckend setzt sie Striche und Punkte und füllt Zeichenblock um Zeichenblock. Die vergehende Zeit wird mit dem Datum des jeweiligen Tages dokumentiert.
Gerlinde Wurths Lebenswerk lässt sich in die Tradition des Minimal und der Konzeptkunst einreihen. Bekannte Vertreter ihrer Generation sind Agnes Martin (1912-2004), On Kawara (1933), Roman Opalka (1932-2011), Hanne Darboven (1941-2009). Noch ein Zitat von Hanne Darboven:
„Ich schreibe, aber ich beschreibe nichts“
Katharina Stieglitz stellt diesem Oeuvre zwei ihrer Werkzyklen gegenüber:
BRAVO/Proust, 2006 und Souvenir, 2009
Der sich immer weiter verändernde Blick auf die Falten der Bettdecke beim Einschlafen. Die langsame Veränderung des Lichts und der Helligkeit spiegelt die Verwandlung von assoziativen Erinnerungsbildern in Traumbilder. Die Abstände zwischen den Bildern stehen für die vergehende Zeit und beschreiben die flüchtigen, kaum fassbaren Momente des Unbewussten beim Einschlafen und den allmählichen Übergang in die Aufwachphase.
Souvenir, Fotografie auf Porzellan, gebrannt
Schaum kann chemisch-physikalisch erklärt werden und man kommt zu Begriffen wie Gasbläschen. Hydrophil und hydrophob. Oberflächenspannung.
Oder mythologisch:
…nennen sie Aphrodite, weil sie im Schaum heranwuchs, weil sie aus den Geschlechtsteilen des Zeus erschienen ist. Schönheit, Liebe, Fruchtbarkeit. Aphròs: griechisch Schaum. Aus dem vielumwogten Kypros (Zypern) wurde sie als Göttin geboren. Sie wurde auch Kypris genannt. Ihre Wahrzeichen aus der maritimen Welt sind der Delphin und die Muschel. Die an das weibliche Geschlecht erinnernde Kaurimuschel oder Porzellanschnecke wurde nach ihr benannt, Cyprea. Die Römer benannten die Muschel ihres Glanzes wegen porcella, was weibliches Ferkel aber auch Vulva meinte. Daher kommt unser Wort Porzellan und das selbstverständlich erscheinende Trägermaterial für Fotografien von Schaum erschließt sich.
Nach einer Ausstellung in der Galerie Grita Insam im Jahr 1982 entschied sich Gerlinde Wurth, den Kunstbetrieb hinter sich zu lassen und in Zurückgezogenheit weiterzuarbeiten.
Ich freue mich sehr, diese besondere Ausstellung heute an diesem Abend zu eröffnen.
Gabriele Rothemann