Gustav Schörghofer
“was sich mir … sachte entzieht“

27. März – 27. April 2008

Vor fünfzig Jahren schrieb Reinhold Schneider während seines Aufenthalts in Wien Notizen, die als „Winter in Wien“ veröffentlicht wurden. Schneider starb am 6. April 1958. „Winter in Wien“ war sein letztes Werk, von großer Klarsichtigkeit, was die Einsicht in grundlegende Vorgänge der europäischen Kultur betrifft. Das Schweigen Gottes, seine Abwesenheit, wird immer wieder angesprochen. Zugleich bezeugt das Buch eine Gegenwart von Sinn,  von Entgegenkommen und Offenheit für das Andere, eine Gegenwart, die im Modus der Abwesenheit überlieferter Sinnzusammenhänge erfahren wird. Dem letzten Satz des Buches ist der Titel der Ausstellung entnommen: „Und es muß sein, es ist ganz unabdingbar, was sich verhüllt in mir, was sich mir unter dem Geheimnis der Barmherzigkeit sachte entzieht.“

Ausgehend von Arbeiten des 19. Jahrhunderts verfolgt die Ausstellung Spuren, die bis in die Gegenwart führen. Angelpunkt ist ein Bild von Joseph von Führich: Die Versuchung des hl. Antonius. Kein Bild Gottes ist mehr zu sehen, nur der Ausblick auf lichten Himmel mit dem Mond hinter Wolken. Der Mond, das Gestirn, das sein Licht von anderswo empfängt. Mann und Frau bilden ein Paar, deutlich parallelisiert die Haltung der Beine, auch die ausgreifenden Arme. Das Adam und Eva-Motiv klingt an. Sie greift nach der Frucht, blickt ihn an, er weist zurück. Inmitten der Übermacht des Dämonischen sind beide wie eine Insel. Doch im Bild sind sie nicht ausgeliefert, sie werden getragen, versinken nicht in der Bedrohung. Den übermächtigen Bildern des Dämonischen wird kein Bild Gottes entgegengestellt. Was trägt? Was hilft? Es ist eine Gestalt, die beide gemeinsam bilden. Und es ist die Ruhe des weiten Raums, der beide in ihrer bedrohlichen Umgebung umfängt.

Die Werke zeitgenössischer Kunst bieten kein Gottesbild. Sie bezeugen seine Abwesenheit. Zugleich stellen sie die Gegenwart von etwas Tragendem, Heilenden, Befreienden dar, das in unterschiedlichen Formen zu entdecken ist.

Die Arbeiten von Esther Stocker und Florian Pumhösl reflektieren die Geschichte der Moderne. Im Reduzierten und Stillen zeigen sie etwas, das die Moderne wie ein stets gegenwärtiger Zauber durchweht, die Tradition des Poetischen.

Mit Sprache haben die Arbeiten von Michael Kienzer und Dorit Margreiter zu tun: Sprache als ein Medium des Entzugs und möglicher Kommunikation zugleich. Gegenwart möglicher Verständigung in der Weise ihrer Abwesenheit.

Das Bild als Entzug und sinnstiftende Gestalt zugleich, der Mangel als Raum für etwas (noch) nicht Gesagtes, Gezeigtes: Simon Wachsmuth und Bernhard Fruehwirth.

In den Arbeiten von Gunter Damisch und Arnulf Rainer ist das Widerspenstige, sich Entziehende zu entdecken, zugleich mit dem Aufbrechen einer Sinngestalt.

Oder die Transformation des Vertrauten, der Natur, ins Fremde und zugleich die Nähe einer beredten Stille, die fast explosionsartig in Erscheinung tritt in der Arbeit von Max Weiler.

1838 malte der damals eben erst in das Noviziat des Jesuitenordens eingetretene hochtalentierte Franz Anton Stecher einen Mitnovizen, Franz Sal. Wagner. Das Bild zeigt Anklänge an die große Tradition europäischer Porträtkunst, ihre Anfänge im 15. Jahrhundert (etwa das Bildnis des Jakob Ziegler von Wolf Huber im Kunsthistorischen Museum in Wien). Die alte Einheit des Menschen mit der Welt klingt noch an, zugleich ist der Novize exponiert, allein im Raum. Doch im Exponierten zeigt sich eine gesammelte Geborgenheit, etwas das trägt, gerade im Ausgesetzten. Gesammelte Präsenz der Gestalt.  

Die Gestalt des Menschen, zart umfangen, fast aufgelöst, doch gesammelt gegenwärtig: Joseph von Führich, Wilhelm Thöny, Joannis Avramidis.

Das ganz und gar Unscheinbare, fast am Rand des Wahrnehmbaren, eine Tilgung alles Spektakulären, und dann ein stiller Zauber, die Poesie des Unmerklichen, das Wunderbare des Unscheinbaren: Heike Schäfer.

Die hier gezeigte Arbeit von Tobias Pils ist aus dem Zustand des Gescheiterten, des Misslungenen, des Vergeblichen hervorgegangen, etwas, das ins Staunenswerte hineingerettet worden ist. Die Vielschichtigkeit der Schwarz und Grau, die Hintergründigkeit des Überschatteten und Verdunkelten.

Der Kasten zeigt eine Welt des Persönlichen, Versuche und Scheitern auf unterschiedlichen Ebenen. Die Arbeit von Christoph Luger gehört dazu und als ein Abschluss des Ganzen die Kalligraphie von Hiroshi Yagi: (menschliches) Glück.

Die Aufgabe der Kirche, der Theologie, einer geistlichen Tradition oder kurz gesagt eines vom Glauben inspirierten  Denkens ist es heute, die Wahrnehmung der Kunstwerke aus einer bestimmten Perspektive offen zu halten. Wo von Seiten der Kunstszenen dem kein Raum geboten wird, wird die Wahrnehmung der Kunst zunehmend banalisiert, von kunstimmanenten und ökonomischen Gesichtspunkten bestimmt. Künstlerinnen und Künstler werden von jenen Kräften, die das Kunstwerk als Mittel zu eigenem Zweck benutzen wollen, nicht geschont. Sie sind diesen Kräften aber nicht ausgeliefert, wenn sie einander beistehen und Widerstand leisten. In der Verantwortung des vom Glauben inspirierten Denkens ist es, einen Raum zu erschließen, der die beengte Gegenwart als offene Weite umfängt. Sinn ist auch dort zu entdecken, wo die Abwesenheit von Sinn erfahren wird.

Gustav Schörghofer SJ

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