Lotte Lyon

29. März – 13. Mai 2007

Augenzwinkern

Die Arbeiten von Lotte Lyon erwecken den Eindruck, brauchbar zu sein. Doch um Haaresbreite sind sie von der Welt des Gebräuchlichen entfernt. Sie verweigern sich. Sie spielen ein anderes Spiel. Ganz leise. Die meisten dieser Gegenstände entstehen zuerst auf dem Papier. Kleine Skizzen von Objekten in räumlicher Ansicht, pro Blatt ein Objekt, einfache Linien, ohne Schattierung. Die Idee, so zart sie ist, scheint von Anfang an klar zu sein. Sie schlüpft fertig aufs Papier. Ohne Korrekturen. Dann gibt es kleine Modelle, mit denen die räumliche Wirkung erprobt wird. Und schließlich, wenn alles gut geht, die großen Objekte. Groß heißt höchstens: gerade noch von einer Person zu bewegen, gerade noch mit den Händen erreichbar oder nur ein bisschen darüber hinaus. „Groß“ hat bei Lotte Lyon immer eine Beziehung zum menschlichen Körper, eine Nähe zu ihm. So spröd diese Objekte wirken können, sie sind doch wieder recht vertraut.

Da ist diese Kiste, die an der Wand lehnt. Sie hat ungefähr die Maße eines Kastens, etwas flach, aber es ginge schon. Die weiße Fläche im Inneren wirkt so, als wäre ein stärkeres Papier von ganz oben über die Rückwand nach unten gebreitet und dann in sanftem Bogen zur Vorderkante des Bodens geführt. Sehr still wirkt das. Der Kasten scheint, innen betrachtet, schwebend auf der Rundung der Seitenwände zu schaukeln. Von der Seite betrachtet steht er zwar mit der Hinterkante auf dem Boden, besonders stabil wirkt das aber auch nicht. Dazu kommt noch, dass die Farbe des Inneren und die der Wand gleich sind. Der Kasten lehnt sich an die Wand, und die Wand scheint durch die Kastenöffnung heraus zu rutschen.

Die geordnete Welt von Boden und Wand, die unerschütterliche Streng der rechten Winkel wird von diesem unscheinbaren Objekt ins Wanken gebracht. Mit einem Mal scheint das alles gar nicht mehr so sicher. Mit einem Mal könnte es auch ganz anders sein. Lotte Lyon hat die wunderbare Fähigkeit, der Welt ein Augenzwinkern zu entlocken. Sie tut das präzis, aber ohne die Glätte des allzu Perfekten. Fichtenholz bleibt Fichtenholz. Die Bretter sind an den Kanten zusammengeschraubt. Keine komplizierten Holzverbindungen, keine Leistungsschau tischlerischen Könnens. Und das Innere ist bemalt, weiter nichts. Aber was mit so wenig Aufwand erreichbar ist, ist erstaunlich.

Allerdings: Um all das zu entdecken, braucht es eine Betrachterin, einen Betrachter, die sich noch wundern können. Wundern darüber, wie anders die Dinge sein können und wie lebendig, wenn sie nicht im Grab des ersten schnellen Eindrucks beigesetzt werden.

Gustav Schörghofer SJ

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