TOBIAS PILS
DER ZWEITE HIMMEL

April – Juni 2003

Mit „der zweite himmel“ schuf Tobias Pils eine Arbeit eigens für den Raum der Jesuitenkirche. Eine großformatige Zeichnung, ein Baldachin, der an kaum sichtbaren Drahtseilen hängt, im Raum schwebt, ein Himmel, ein zweiter Himmel nach dem ersten, der oben im Gewölbe zu sehen ist. Ein Himmel, der einem fast auf den Kopf fällt, aber nur fast. Er schafft im harmonischen Raum der Kirche einen Schnitt, einen Bruch. Der freie Schwung des Blicks auf den Hochaltar wird unterbrochen. Doch was im Barock wie selbstverständlich möglich war, einen Blick in den Himmel zu tun, das erfahren wir höchstens noch als historisches Spektakel. Tobias Pils reagiert mit seiner Arbeit auf die barocke Gestalt des Kirchenraums.

Andrea Pozzo hat ab 1703 den bereits bestehenden Raum der Jesuitenkirche neu interpretiert. Seine Gestaltung des Inneren kann als eine mächtige Installation gesehen werden. In den vorhandenen Raum wurde ein neuer Raum hineingestellt. Formal ist die Spannung zwischen Schwarz (die Schatten) und Weiß (die Wände) von entscheidender Bedeutung für den Aufbau des Ganzen. Im „Raum“ zwischen Schwarz und Weiß entfaltet sich die Vielfalt der Farben.

Die Arbeit von Tobias Pils nimmt die Spannung zwischen Schwarz und Weiß auf. Schwarz und Weiß müssen zugleich gesehen werden. Nicht nacheinander. Auch nicht: Das eine ist besser als das andere. Sie sind die Grenzen eines Raumes, der sich zwischen ihnen auftut. Eine ganze Welt ist in diesem Raum zu finden, in dem Schwarz und Weiß als Einheit da sind. Sie sind nicht mehr bloß Gegensätze. Schwarz und Weiß gelten gleich viel.

Der „zweite himmel“ steht als Neues in Verbindung zum Alten. Gestaltung mit Schwarz und Weiß spielt im Alten eine Rolle, genauso wie das Motiv des Überdeckenden, unter dem durchgegangen werden kann, das sich über einen breitet. Das Neue ist aber auch ein Schnitt in der Harmonie des Alten. Mit dem Alten bleibt es durch einen Mangel an Perfektion verbunden. Überstehende Enden der Stahlseile, kleine Wellen im Papier, Nagelköpfe: Unregelmäßigkeiten, durch die das neue Gebilde die Schwingungen des Alten aufzunehmen vermag. Denn das Alte ist voller Unregelmäßigkeiten. Gerade sie geben dem Raum seinen besonderen Klang. Durch die Störung der alten Harmonie kann dieser Klang neu entdeckt werden. Wem die einmal gewonnene Vorstellung vom Alten nicht genug ist, dem konnte der Blick in den neuen „himmel“ die Herrlichkeit des alten neu erschließen.

aus: Gustav Schörghofer, Drei im Blau. Kunst und Glaube, Residenz-Verlag, 2013

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