PAOLO GALLERANI
MEDITAZIONE I.5-V.5

April 2000 - August 2000

Paolo Gallerani hat aus einem Bild von Vittore Carpaccio, der 1510 gemalten Beweinung Christi (Staatliche Museen, Berlin), den auf einem Steintisch liegenden Leichnam Christi mit einer Ansammlung von Gebein entnommen. Das von Carpaccio geschaffene Bild zeigt Tod und Trauer inmitten der Ruhe einer weiten Landschaft. Ihre stille Feierlichkeit und der dichte Wipfel des zum Teil verdorrten Baums zu Füßen Christi weisen auf etwas hin,  das erst im Durchgang durch Sterben und Tod zu erreichen ist. Das von Gallerani geformte Relief konfrontiert dagegen mit Tod und Zerstörung. Ein absolutes Ende.

Für Paolo Gallerani hat aber die Arbeit an diesem Punkt von neuem begonnen. Von der in Ton geformten Skulptur wurden Negativformen in Gips abgenommen, ein äußerst kompliziertes Verfahren, in dessen Verlauf die ursprüngliche Tonskulptur nach und nach zerstört wurde. Aus den Negativformen wurden fünf Gipsabgüsse gewonnen. Von ihnen wiederum wurde jeweils ein Abguss in Bronze hergestellt. Durch diesen Prozess wurden die Gebilde ein weiteres Mal verändert. Es bleiben an ihnen die Spuren der Entstehung sichtbar.

Die fünf Arbeiten dieser Serie führen einen Vorgang der Zerstörung vor. Die erste Skulptur gibt die ursprüngliche Arbeit aus Ton wieder. Bei der zweiten ist ein Gutteil des Reliefgrunds weggebrochen. Bei der dritten fehlt der Leichnam Christi, das verstreute Gebein ist nicht mehr zu erkennen. Die vierte Skulptur hat nur mehr den schon sehr brüchig gewordenen Tisch bewahrt, doch ist nun hinter ihm eine Fläche, die frei ist von aller Darstellung, dazugekommen. Bei der fünften Skulptur fehlen ein paar Brocken der vierten, die Fläche hat einige Sprünge und unterhalb des Tisches liegt ein weißes Tuch.

Beim Betrachten der Skulpturen geht also etwas, das am Anfang da war, immer mehr verloren. Zugleich kommt schließlich etwas dazu. Verloren gehen die Zeugen des Todes, Leichnam und Gebein. Neu ist die Fläche, neu ist auch das weiße Tuch. Auch sie haben etwas vom Brüchigen des Übrigen. Sie sind nicht unversehrt. Auch sie bezeugen etwas. Es lässt sich jedoch nicht auf die gleiche Weise gegenständlich fassen wie Leichnam und Gebein. Sie könnten sensibel machen für eine neue Dimension der Wirklichkeit, die erst im Durchgang durch Sterben und Tod zu erreichen ist.

In einer Ecke der Rückseite der ersten Skulptur sind einige Worte geschrieben: Quoniam enim per hominem mors et per hominem resurrectio mortuorum 1 Kor 15,21 (Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten). Die Skulpturen wurden ab Ostern 2000 ein erstes Mal und noch einmal in der Osterzeit 2002 aufgestellt.

Aus „Drei in Blau“, Gustav Schörghofer SJ, 2013

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